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Ausblick auf die Oscars 2005

Die Nominierungen der kommenden Oscarverleihung (in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar) werden zwar erst Ende Januar bekannt gegeben, die Spekulationen über mögliche Kandidaten laufen jedoch schon seit Wochen auf Hochtouren. Einige der wichtigsten Filme, die ins Rennen um den nackten Goldjungen gehen, haben in den folgenden Wochen ihren Deutschlandstart und werden hoffentlich auch in Paderborn zu sehen sein. Neben der Hauptkategorie des besten Films lohnt sich auch der Blick auf die Königssparten der großen Stars, die weibliche und männliche Hauptrolle.

BESTER FILM: Während der finale Herr der Ringe-Streifen Die Rückkehr des Königs im letzten Jahr bereits ziemlich früh als der Film gehandelt wurde, den es zu schlagen gilt (was letztlich keinem Konkurrenten gelang), könnte das Rennen um den Oscar in diesem Jahr wieder etwas spannender werden.

Seit Monaten werden besonders zwei große Studioproduktionen mit gewaltigem Oscar-Hype begleitet: Während Oliver Stone mit Alexander das Leben des antiken makedonischen Kriegsherrn auf die Leinwand bringt, widmet sich Martin Scorsese in Aviator den Abenteuern einer Regielegende aus dem Hollywood der dreißiger und vierziger Jahre, Howard Hughes. Zwar ist der ansonsten eher umstrittene Oliver Stone bei der Academy sehr beliebt (er bekam bereits vier Oscars, u.a. zwei für Platoon), einige frühe Kritiken sind jedoch ziemlich mies und machen Alexander zu einem eher unsicheren Tipp. An Scorsese und Aviator dürfte allerdings – obwohl noch kaum jemand den Film gesehen hat – kein Weg vorbeiführen, da er die goldenen Jahre Hollywoods feiert, die Academy ohnehin sehr traditionsbewusst ist und Scorsese zudem schändlicherweise noch nie einen Oscar gewonnen hat, trotz Meisterwerken wie Taxi Driver, Wie ein wilder Stier oder GoodFellas.

2004 könnte das Jahr der Biographien werden, denn außer den oben genannten Filmen sind noch einige weiteren Streifen im Gespräch, die sich mit historischen Persönlichkeiten beschäftigen: Wenn Träume fliegen lernen (ab 10.02.) setzt sich mit dem Peter Pan-Autor J.M. Barrie auseinander und ist mit Johnny Depp und Kate Winslet in den Hauptrollen edel besetzt. Die Kritiken sind zwar eher passabel als herausragend, die sentimental geprägte Oscar-Jury dürfte jedoch auf den gefühlvollen, nostalgischen Ton der Geschichte anspringen, zumal alles an Wenn Träume fliegen lernen schreit nach einem großen Kassenerfolg (immer hilfreich). Was ein Film unbedingt braucht, um sich Chancen auf eine Nominierung ausrechnen zu können, ist ein guter "Buzz“- Faktor, wie die Amerikaner sagen. Er muss also „im Gespräch sein“, mediale Aufmerksamkeit genießen, sei es durch gute Kritiken oder durch den Erfolg an der Kasse. Der Ray Charles-Biopic Ray (ab 6.01.) ist nicht zuletzt durch die viel diskutierte Leistung des Hauptdarstellers Jamie Foxx und ein respektables Einspielergebnis an der Box Office ein aussichtsreicher Anwärter.

Die Academy achtet jedes Jahr darauf, auch einen kleineren, ambitionierten Film zu nominieren, um der Auswahl eine gewisse künstlerische Legitimation zu geben (siehe letztes Jahr Lost in Translation). Zwei der im November in den USA gestarteten Filme sind echte Kritikerlieblinge: Sideways (ab 3.02.) ist der neue Film von Alexander Payne (letzter Film: About Schmidt), eine schräge Komödie über sympathische Loser, die hauptsächlich über Frauen und Wein philosophieren. Größere Chancen, in die Top 5 zu kommen, dürfte jedoch ein anderer Kritikerhit – und wiederum eine Biographie – haben: Kinsey (ab 3.03.), mit Liam Neeson als Alfred Kinsey, der sich in den fünfziger Jahren mit seinen Sexualforschungen einen Namen machte und das prüde Amerika schockte. Interessant, dass bereits einige christlichen Gruppen gegen den Film aufrüsten, da sie eine Art sexuelle Revolution fürchten. Man darf jedoch nicht vergessen, dass Hollywood und die Academy politisch eher liberal eingestellt sind und die Nominierung für Kinsey ein willkommener Schlag gegen die konservative Rechte wäre.

Falls die Academy auch einige Wochen nach der US-Wahl noch politisiert ist, könnte das Auswirkungen haben auf die zwei wohl umstrittensten Filme des Jahres: Die Passion Christi ist in den USA einer der erfolgreichsten Filme aller Zeiten, aber zugleich natürlich ein Dokument für den wachsenden Einfluss der fundamentalistischen Christen, was viele Jurymitglieder abschrecken dürfte. Fahrenheit 9/11 vertritt die Position des liberalen Amerika, ist in seinem Bestreben nach dem Machtwechsel in Washington allerdings gescheitert – eine Nominierung als bester Film wäre ein politisches Statement Hollywoods, ist jedoch trotzdem unwahrscheinlich, da noch nie eine Dokumentation als „bester Film“ nominiert wurde. Eher chancenreich sind zwei andere Werke, die auf ihre Art den Geschmack treffen könnten: Das Phantom der Oper ist die Umsetzung des weltweiten Musicalerfolgs und dürfte, falls der Film nicht völlig verrissen wird, ein großes Publikum finden. Zudem kommen Musicals traditionell gut an und sind seit dem Oscargewinn von Chicago wieder hoffähig.

Manches Mal gelingt es einem nicht-englischsprachigen Film, den großen Oscar-Coup zu landen (siehe Tiger & Dragon und Das Leben ist schön). In diesem Jahr hat das Erste Weltkrieg-Liebes-Epos Mathilde - Eine große Liebe recht gute Aussichten auf eine Überraschung. Das neue Werk des Amelie-Regisseurs Jean-Pierre Jeunet, wieder mit Audrey Tautoo in der Hauptrolle, wird zumindest von einem sehr hohen „Buzz“-Faktor begleitet. Bleibt nur zu hoffen, das Publikum und die Oscar-Jury beißen auch an!

Mein Tipp für die fünf Nominierungen: Aviator, Wenn Träume fliegen lernen, Das Phantom der Oper, Mathilde, Kinsey.

BESTE WEIBLICHE/ MÄNNLICHE HAUPTROLLE: Ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen, kann man zwei Darstellerinnen als halbwegs „sichere“ Kandidatinnen ansehen: Imelda Staunton in Vera Drake (ab 27.01.) sowie Kate Winslet. Staunton gewann nicht nur einen Preis beim Festival in Venedig, der Film tritt zudem – siehe politische Kontroverse im US-Wahljahr – für das Recht der Frauen auf Abtreibung ein – das müsste der liberalen Academy besser schmecken als dem Durchschnittsamerikaner. Kate Winslet hat gleich mit zwei Filmen, Vergiss mein nicht und Wenn Träume fliegen lernen, eine Chance. Da sie in Hollywood sehr beliebt ist und bereits dreimal nominiert wurde, dürfte sie mit im Rennen sein.

Dogville ist leider zu radikal und kontrovers, sodass Nicole Kidman, obwohl oscarwürdig, dieses Mal kaum eine Chance hat. Hollywood-Darling Julia Roberts ist an der Seite von Jude Law und Natalie Portman in dem ambitionierten Beziehungsdrama Hautnah zu sehen, einem hintersinnig-erotischem Intrigenspiel des Altmeisters Mike Nichols (Oscar 1967 für Die Reifeprüfung), und US-Kritikerpapst Roger Ebert spricht bereits von einer noch besseren Leistung als in Erin Brockovich. Annette Bening (u.a. American Beauty) ist zwar, wie spekuliert wird, langsam mal dran mit einem Oscargewinn, ihr Film Being Julia kam bei Publikum und Kritik jedoch nicht besonders gut an. Nicht ganz unmöglich ist eine Nominierung für Uma Thurman, Kill Bill 2 liegt allerdings nicht im Geschmacksradius der Academy. Wahrscheinlicher sind Nominierungen für Emmy Rossum (Sean Penns Tochter in Mystic River), die in Das Phantom der Oper die Christine darstellt und auf ein gutes Abschneiden ihres Films hoffen muss, sowie Regina King, die in Ray eine Geliebte von Ray Charles spielt. Sehr erfreulich wäre eine Nominierung für Audrey Tautoo in Mathilde, nachdem sie für Amelie leer ausging. Bei Laura Linney (zuletzt in Mystic River zu sehen), die in Kinsey die Ehefrau des Sexualforschers spielt, ist die Frage offen, ob sie entweder als Haupt- oder (wohl eher) als Nebendarstellerin ins Rennen geht - eine Nominierung ist ihr aber wahrscheinlich sicher.

Bei den männlichen Kollegen werden weit über ein Dutzend Namen gehandelt, the man to beat ist aber Jamie Foxx als Ray Charles. Er wäre nach Sidney Portier und Denzel Washington erst der dritte schwarze Oscargewinner in dieser Kategorie. Weitere aussichtsreiche Kandidaten sind Liam Neeson als Kinsey und Javier Bardem, der in Venedig überragende Kritiken bekam, jedoch in einem ausländischen Film spielt (Das Meer in mir), was die Chancen erfahrungsgemäß einschränkt.

Spannend ist vor allem die Frage, wie es zwei ehemaligen „Jungstars“ ergehen wird: Johnny Depp spielt an der Seite von Kate Winslet in Wenn Träume fliegen lernen und bekommt vorwiegend starke Kritiken. Wenn er den Film trägt und nach Fluch der Karibik den zweiten Kassenschlager in Folge fabriziert, ist eine zweite Nominierung absolut möglich. Fraglicher ist da schon Leonardo DiCaprio, der die Hauptrolle in Aviator spielt. Er war erst einmal (für Gilbert Grape, an der Seite von Johnny Depp) nominiert und wird wohl eher misstrauisch von der Academy beäugt. Ist Aviator jedoch der erhoffte Kritikererfolg, hat DiCaprio eine realistische Chance. Geht Alexander baden, bleibt auch Hauptdarsteller Colin Farrell nominierungslos. The Door in the Floor, die neueste John Irving-Verfilmung, ist wohl zu klein und auch kein echter Kritikerhit, sodass es für den tollen Jeff Bridges leider schwer wird.

Nominierungen für Christian Bale (aufopferungsvoll in The Machinist) und Kevin Bacon (notorisch unterschätzt in Hollywood) als pädophiler Ex-Häftling in dem auf Independent-Festivals hoch gehandelten The Woodsman wären kleine, wenn auch erfreuliche Sensationen.

Mein Tipp: Kate Winslet in Vergiss mein nicht, Imelda Staunton in Vera Drake, Emmy Rossum in Das Phantom der Oper, Regina King in Ray und Audrey Tautoo in Mathilde.
Bei den Männern: Jamie Foxx in Ray, Liam Neeson in Kinsey, Leonardo DiCaprio in Aviator, Johnny Depp in Wenn Träume fliegen lernen und Javier Bardem in Das Meer in mir.

Die Nominierungen für das Jahr 2005 werden am 25. Januar bekannt gegeben. Wie in jedem Jahr könnt ihr dann hier eure Favoriten tippen und gegen die Redaktion antreten. Die Oscarnacht ist am 27/28. Februar 2005.

Dominik Rose
26.11.2004



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